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Mit Leib und Seele komisch

Was treibt einen Clown an, woher kommt diese Energie?
Die Antriebskraft, alles zurückzulassen und zu sagen, ich will nicht mehr in meinem Beruf arbeiten, entfaltet enorme Kräfte. Es ist die Möglichkeit, das absolute Glücksgefühl zu suchen und zu erfahren. Der Weg, den ich eingeschlagen habe, führte mich gerade an einen Ort, an dem 20 Leute zusammenkommen, die Musik gemeinsam schreiben, Tanzchoreografie machen, die Plätze suchen, die abstrakt sind, die einen Eukalyptuswald als Botschaft und diesen als Bühne benutzen. Das ist ein anderer Antrieb, als er vor 20 Jahren war. Aber die Energie ist die Gleiche. Daß man sich mit dem was man macht, immer wieder neu erfinden kann. Es ist eine ständige Transformation, ein ständiges Wiederentdecken.

Woher kommt der Mensch, der sich Tosta-Mista nennt und wo will er hin?
Meine Großeltern haben an der holländischen Grenze gelebt. Ich bin Jahrgang 1969 und Tosta Mista heisse ich, weil hier keiner meinen deutschen Namen aussprechen kann. Morgen geht es für mich an Santa Maria da Feira bei Porto…

Und dann?

tosta mista sacos papel
Thorsten Grütchen

Geht es nach Funchal auf Madeira. Da spiele ich zwei Tage auf der Buchmesse.

Und dann?
Am Tag des Kindes spiele ich in Alcochete im Auditório, für Kinder.

Und dann?
Bin ich in Torres Novas auf dem Mittelalterfest. Dort spiele ich meinen Hofnarren, Bobo da Corte. Und dann bin ich in Montemor-O-Novo bei Evora auf dem Frühlingsfest. Und danach geht es in den Europark zurück nach Santa Maria da Feira. Im Botanischen Garten in Coimbra werde ich Die Papiertüten das erste Mal präsentieren. Danach geht es weiter nach Guimarães …

In Deutschland, so sagt man, gehen die Leute zum Lachen eher in den Keller.
Die Portugiesen unterkellern ihre Häuser aber nicht. Hier kann man ganz tief im Wald oder auch am Strand lachen.

Es ist doch komisch, dass ein Deutscher nach Portugal auswandert und die Menschen hier zum Lachen bringen möchte, den Entertainer macht.
Einerseits komisch, aber andererseits passt das in das Metier der Zirkuskunst. Für mich bedeutet das Arbeiten in dieser Branche Fortbewegung. Ich habe schon immer so ein Fernweh gespürt. Sie sehen ja meine Statur. Ich bin 1,85 Meter groß. Braune Augen, manchmal auch grüne, etwas unbeholfen. Das ist ein großer Vorteil, weil man in Portugal alles liebt, was von außen kommt. Ein ausländischer Künstler hat hier gute Möglichkeiten. Ich bin ja auch ein wenig komisch.

Das Geschäftsmodell ist, den komischen August zu machen?
Es ist eine Mischung aus einem scheiternden Weißclown und der Technik. Komisches Jonglieren. Es gab in meinem Beruf immer wieder verschiedene Phasen. Gemeinschafts- und auch Soloprogramme und sogar eine fahrende Bühne. Am Anfang war mir Technik sehr wichtig.

Vorsprung durch Technik?
Von der Drehbank zur einzigartigen Jonglierkunst. Vorsprung, um bestimmte Technik zu beherrschen. Der Traum, fünf, sechs oder sieben Bälle gleichzeitig zu jonglieren. Das sind auch bewegende Bilder.

Ist denn auch schon mal ein Ball in der Luft geblieben?
Mir ist auch schon mal ein Ball abhanden gekommen auf der Fähre von Neapel nach Palermo.

Aber die kommen ja alle wieder an Land.
Unser Müll wird immer wieder an Land zurückgespült. Dabei legt so ein Ball mitunter eine lange Reise zurück. Mit den Jahren habe ich dann aber festgestellt, dass es auch ohne Technik geht. Das Wichtige ist Präsenz. Aufgeschlossen sein für neue Ideen.

Sie sind ja jetzt von den Bällen weggekommen und bei Papiertüten gelandet. Warum eigentlich?
Ich habe mir irgendwann gedacht, dass man das Ganze nicht mehr Jonglieren nennt, sondern Objektmanipulation. Das bedeutet, daß durch die klassischen Objekte, die man so trainieren kann: Keulen, Bälle, Ringe, Hüte … daß man die sich angeeignete Technik auf andere Objekte übertragen kann, auf Steine oder auf alles, was es gibt: die Freude am Objekt, die Vielfältigkeit am Objekt. Zur Papiertüte kam es eigentlich über eine Form von Erinnerung. Als ich eine Papiertüte bei einer Freundin in der Küche hängen gesehen habe, kam mir sofort die Erinnerung. Ich habe mir dann einige Tüten mitgenommen und mir gedacht, vielleicht kann man damit irgendwas machen.

Sind diese Tüten gefüllt, oder sind sie leer?
Gefüllt sind sie mit ein paar Schweißtropfen und mit Kreativität und auch mit einer Recherche über ihre Vergangenheit. Das Ganze hat dann auch seinen Namen, o grande embrulho, im Deutschen nenne ich es Eingetütet. Im Portugiesischen kann man das nicht so einfach übersetzen. Es ist ein Wortspiel aus Die große Verpackung und Eine verzwickte Situation… (Achtung Übersetzer!!)

Eingetütet? Wie viel Tüten verbrauchen Sie denn an so einem Abend?
Das kommt auch aufs Publikum an. Ich hoffe, dass es später einmal bis zu 500 werden.

Jeden Abend?
Nicht jeden Abend.

Zuschauer? Oder Tüten?
Tüten und Zuschauer. Könnte natürlich sein, dass da einige Zuschauer sind mit ziemlich großen Köpfen und die Tüten zu klein sind. Dann sind es ein paar weniger Tüten als Zuschauer.

Aber man könnte so eine Tüte eigentlich auch für etwas anderes verwenden, oder?
Eigentlich wurden sie geschaffen, um Obst und Gemüse einzutüten, aber das macht heutzutage kein Mensch mehr. Dafür gibt es ja Plastiktüren. In meinem Fall tüte ich mich damit selbst ein. Sie wird etwas zweckentfremdet. Ich tüte meine Hand damit ein und dann formt sich daraus ein kleines Puppentheater. O Grande Embrulho, der Mensch in der müllschaffenden Zivilisation, verwendbar auch als Objekt der Manipulation …

Hat die Tüte bei Ihnen eigentlich einen politischen Hintergrund?
Ja, einen wirtschaftspolitischen Hintergrund. Sie hat einen informativen Hintergrund, informationsstiftend im Sinne der Aufklärung. Es ist das Verzaubern über das Objekt aber auch das informative Element, das dann später kommt, wenn man sich mit der Tüte in der Markthalle oder im Flugzeug beschäftigt. Man hat ja die Wahl, ob man seine Banane noch einmal in eine Plastiktüte verpackt – bevor man die Schale wieder wegwirft – oder nicht, oder einen frisch mit Insektiziden und Pestiziden gespritzten Apfel noch einmal in eine Plastiktüte oder unsere Orangen usw …

sacos plasticos
Tosta Mista

Man kann Tüten ja für eine ganze Menge andere Sachen verwenden, nicht wahr?
Durchaus. Zum Zeitvertreib als Sonnenschutz am Strand. Oder als Papstdeko auf dem Weg nach Fátima, als Napoleon in den Krieg, als Robin Hood, Bandit etc.

Bereiten Sie Ihre Clownerien mit gründlicher deutscher Sorgfalt vor?
In dem Text meiner Präsentation steht: Der Deutsche mit der portugiesischen Seele. In dieser Seele scheint sich etwas anzubahnen, nämlich, dass ich viele Dinge nicht mehr ganz so ernst nehme.

Wie ist denn das bei Ihnen selbst? Gibt es denn noch ab und an irgendwas zum Wegwerfen?
Oh ja und ich wundere mich darüber, wie viel das immer noch ist. Besonders die Weinflaschen für den Container. Ja, ich habe noch Sachen zum Wegschmeißen, aber immer weniger. Ich komme mit immer weniger aus. Ich bin viel unterwegs in den Sommermonaten und da bin ich fast frei von Müll. Den Müll schmeißen dann andere für mich weg, wenn ich im Restaurant esse. Sich müllfrei zu ernähren, ist nur möglich, wenn man auf den Markt geht und wenn man sich das in Papiertüten verpacken lässt. Und danach kann man aus einer Papiertüte noch eine ganze Menge machen.

Plastik hingegen landet immer wieder in unserer Nahrungskette: im Meer, in den Fischen und dann zurück in unsere Bäuche. Müssen wir alles drei oder vier Mal verpacken, nur um dann alles in den Müll zu werfen? Mit einer Papiertüte passiert uns das nicht. Wie wäre es, wenn man im Supermarkt wenigstens die Auswahl zwischen der Papier- und der Plastiktüte hätte? Wie würde sich der Konsument entscheiden? In meinem Stück geht um die wiederverwertbare Verpackung einer Papiertüte. Warum sollten wir diese später nicht wieder benutzen?

Haben Sie mal ausgerechnet, wie viel Müll Sie selbst im Monat produzieren?
Ich vermeide Müll und kaufe in kleinen Geschäften. Ich gehe ganz selten, eigentlich so gut wie nie in den Supermarkt. Da sind wir mal wieder bei den Objekten. Ich finde einen Supermarkt interessant, aber nicht zum Einkaufen. Ich gucke mir immer die Leute da drinnen an. Das gehört zu meinem Beruf. Manchmal verkleide ich mich sogar als Verkäufer. Es ist zweigleisig. Das Angebot der Supermärkte und das Kaufverhalten der Leute. Es wird alles immer noch etwas unpersönlicher. Bald werden die Angestellten überflüssig…

Dann werden wir von einem Roboter bedient, der uns fragt…
…darf es noch etwas mehr sein?

Lösungen?
Jute statt Plastik. Papier und Glas statt Plastik. Pfandsysteme in Portugal einführen. Es gibt so viele Möglichkeiten. Muss man nur wollen.

Also doch wieder der Deutsche? Wie lange dauert ein Auftritt?
Zwischen 20 Minuten für Kinder und bis zu eineinhalb Stunden.

Wann waren Sie das letzte Mal so richtig glücklich?

Papiertüten

Jetzt. Ich will Ihnen sagen, wie ich dazu gekommen bin. Als ich damals meinen Träumen folgte, war das eine Energie, die noch rastlos war. Ich bin einen unbekannten Weg gegangen; habe mich darauf eingelassen Risiken einzugehen; nicht an soziale Sicherheit zu denken und nur das zu machen, was ich liebe, um glücklich zu werden. Das habe ich in den ersten Jahren wirklich gelernt. Und

als ich gelernt habe, mich einer neuen Kultur anzupassen, eine neue Sprache zu lernen, dann habe ich gemerkt, was Reichtum und Glück überhaupt bedeuten können. Sich zu bereichern mit dem Lernen einer neuen Sprache, andere Auffassungen kennenzulernen.

Ich habe auch lange meinen Beruf verteidigen müssen. Wenn ich irgendwo hingekommen hin, wurde ich immer gefragt, und was machst du denn da? Wenn ich gesagt habe, ich bin Entertainer, ich bin Clown, ich bin Jongleur haben die Leute komisch geguckt und gefragt, Was machst du denn da? Clown ist ja eher ein Schimpfwort als der Ausdruck für einen Beruf. Durch das Erlernen dieses Berufs allerdings kommt die Vielfältigkeit. Der eigentliche Clown kann auf vielfältige Weise Emotionen wecken, Nachdenklichkeit und viele andere Empfindungen. Im Prinzip geht es mir darum, wie wir mit unserer Lebensgrundlage auf unserem Planeten und wie wir mit uns selbst umgehen. Wie wird es sein, wenn Dir niemand mehr zeigt, was GlücklichSein bedeutet? Da gibt es noch viel zu erzählen…

 

Danke.

Seine Eltern kann man sich nicht aussuchen, nicht einmal das Land und den Ort, an dem eineR geboren wird. Alles braucht Zeit. Thorsten Grütchen (48), alias Tosta-Mista, aus Aljezur, war 23 Jahre alt, als er sich von seinen Eltern verabschiedete. Kurz vor dem Ende seiner Ausbildung zum Betriebsschlosser traf er die Entscheidung seines Lebens. Er wollte Clown werden. Deutschland sollte es auch nicht mehr sein, eher Portugal. Eines Tages kommt der Moment, an dem eineR weiß, sich den Beruf und das Land, in dem eineR leben möchte, selbst auszusuchen.

About the author

Uwe Heitkamp, 53, Journalist und Filmemacher, ist seit 25 Jahren in Monchique, Portugal zuhause. Er unternimmt gern lange Wanderungen in den Bergen und schwimmt in Gebirgsbächen und Seen. Schreibt und erzählt Geschichten über Menschen und ihre Bezüge zur Ökologie und Ökonomie. Sein aktueller Film „Erben der Revolution“, erzählt über 60 Minuten die Geschichte einer Wanderung durch Portugal. Zehn Menschen berichten aus ihrem Leben. Alle Protagonisten zusammen malen ein Bild vom Leben und Arbeiten in den Bergen Portugals. Der Film offenbart Einblicke in die Schönheit der Natur und das Leben der normalen Menschen. Welcher Weg bestimmt die Zukunft des Landes? (Abonnieren Sie ECO123 und sehen Sie den Film in der Mediathek)

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