In diesem Jahr wurde in Lissabon der gigantische Ausbau der Flughäfen und des Luftverkehrs vereinbart. Der Verkehr – und insbesondere der Luftverkehr – trägt am meisten zum Treibhauseffekt bei. Doch unsere Lebensweise steht vor einer großen Veränderung. Wollen wir morgen noch mit dem Flugzeug unterwegs sein? Die folgende Geschichte spielt sich zwischen Schweden und Lissabon ab.
Alexandre Seguro ist 17 Jahre alt und hat am 25. Juli seine letzte Herausforderung als Schüler der Sekundarstufe – das staatliche Examen in Mathematik. Vier Tage danach wird er in Schweden sein und an der Weltfriedenskonferenz in Stockholm teilnehmen. Die Wahl des Transportmittels, um dorthin zu gelangen, war für ihn klar: “Ich habe vom 25. bis 29. Zeit, also kann ich mit dem Zug fahren.”
“Das ist eine nachhaltigere und unterhaltsamere Reisemöglichkeit. Ich kann so mehr von Europa erkunden und habe die Gelegenheit eine Freundin in der Schweiz zu besuchen”, erzählt er begeistert.
Die entgegengesetzte Reise hat gerade Miriam Thorpe gemacht. Sie lebt in Schweden und durchquerte den Kontinent, weil sie zur Hochzeit eines portugiesischen Freundes in Tomar eingeladen war. “Ich habe gesehen, dass der Zug nur zwei Tage braucht und ich aus meiner Reise ein größeres Abenteuer machen kann”, erklärt sie, während wir am Vorabend ihrer Rückkehr nach Skandinavien am Ufer des Flusses Zêzere spazieren gegangen sind.
“Die Reise war ganz unkompliziert. Stockholm, Kopenhagen, Hamburg, Paris, Hendaye und zuletzt der Nachtzug nach Lissabon. Ich konnte viele interessante Leute kennenlernen, wie beispielsweise eine junge Engländerin, die zu einer Konferenz nach Lissabon kam und ausschließlich mit dem Zug unterwegs ist. Wir sprachen darüber, wie viel angenehmer das ist, aus dem Fenster zu schauen und durch Nationalparks in Spanien zu fahren … Und ich konnte auch viel besser schlafen, als ich dachte. Ich möchte das auf jeden Fall öfter machen.”
Bisher hatte Miriam es immer so gemacht wie alle Schweden. “Das Land ist kalt und dunkel, deshalb fliegen die Leute gewöhnlich gerne an sonnigere Orte. Sie reisen im Winter nach Thailand, im September irgendwohin nach Europa, am Wochenende nach Amsterdam … “Schweden reisen fünfmal so viel mit dem Flugzeug wie der Weltdurchschnitt.
In diesem Jahr hat sich alles geändert. “Mein Freund und ich haben beschlossen, 2019 nicht zu fliegen”, sagt die junge erwerbstätige Studentin. Und damit sind sie bei Weitem nicht alleine. Tools wie travelandclimate.org lassen uns die Auswirkungen einer Reise auf das Klima auf einfache Weise berechnen. Sie könnten sogar auf Auto-, Tier- und Industrieprodukte, sowie den Kauf von Gadgets verzichten, würden mit einem Langstreckenflug jedoch alles zunichtemachen, was sie in einem Jahr getan haben, um die Emissionen einzudämmen. “Meine größte Emissionsquelle war das Flugzeug”, bestätigt Miriam. “Wir sind uns dessen bewusster und können heute auf mehr Fakten zurückgreifen. Die Leute haben angefangen intensiver darüber nachzudenken, im Fernsehen wird darüber berichtet und es gibt Gruppen, die sich mit dem Thema auseinandersetzen.
Im ganzen Land verbreitet sich “flygskam”: “Flugschande” oder schäm dich zu fliegen. “Die Leute schämen sich zuzugeben, dass sie fliegen. Ich schäme mich ein bisschen, da ich weiß, dass ich sehr privilegiert bin und wie und was ich konsumiere im Vergleich zu anderen Ländern völlig unverhältnismäßig ist.
Nach Angaben der Europäischen Umweltagentur werden bei einer Zugfahrt durchschnittlich 14 Gramm Kohlendioxid pro km in die Atmosphäre abgegeben. Und bei einem Flug? 285 Gramm. Während weniger als 10% der Weltbevölkerung schon einmal mit dem Flugzeug unterwegs war, sind vor allem diejenigen, die nicht am Luftverkehr teilnehmen, von der Klimakrise und dem Flughafenausbau betroffen.
In Schwedens sozialen Netzwerken verbreitet sich auch ein Hashtag #StayOnTheGround und die Kampagne Flightfree 2020. Die Herausforderung? Man verspricht, das ganze nächste Jahr auf dem Boden zu bleiben – wenn 100.000 andere Schweden das Gleiche versprechen. “So können wir gemeinsam Verantwortung übernehmen, um unsere Emissionen zu senken und der Welt zeigen, dass wir bereit sind, unsere Lebensweise zu ändern und alles zu tun, um die Klimakrise zu lösen.”
Der Konzertsaal in Helsingborg in Südschweden hat angekündigt, nur Künstler auftreten zu lassen, die nicht mit dem Flugzeug anreisen. 250 Filmschaffende haben sich zusammengeschlossen und wollen erreichen, dass die schwedische Filmindustrie ihre Produktionsmethoden ändert und die Notwendigkeit zu fliegen reduziert.
Die Bewegung zeigt bereits Wirkung: Die Zugreservierungen sind im vergangenen Winter um mehr als 20% gestiegen, und 5 Mio. Euro werden in den Einsatz von Nachtzügen in große europäische Städte investiert.
Die Kampagne Flightfree 2020 wurde seitdem auf Belgien, Frankreich, Dänemark und das Vereinigte Königreich ausgedehnt. In den Vereinigten Staaten versucht man seit 2015 mit der Kampagne „Flying Less“, den Einsatz von Flugzeugen in der Welt der Akademiker zu reduzieren.
“Mit dem Flugzeug zu reisen hat sich sehr stark verbreitet, aber es ist ein Luxus, der auf unserem Planeten einen großen ökologischen Fußabdruck hinterlässt”, erklärt Alexandre. “Wir müssen verantwortungsbewusst damit umgehen: nur fliegen, wenn es unbedingt nötig ist”.
Wir gucken in die Luft
“Ich möchte, dass Sie in Panik geraten. Und dann möchte ich, dass Sie handeln. Ich möchte, dass Sie so handeln, als stünde Ihr Haus in Flammen. Denn das tut es.”
Im Januar reiste Greta Thunberg, im Alter von 16 Jahren, 32 Stunden mit dem Zug von Schweden zum Weltwirtschaftsforum in Davos (Schweiz). Die Worte, die sie an die mächtigsten Menschen der Welt richtete, die mit einer Rekordzahl von 1.500 Privatjets anreisten, um über den Klimawandel zu sprechen, könnten in die Geschichte eingehen.
“Die Lösung der Klimakrise ist die größte und komplexeste Herausforderung, die Homo sapiens jemals bewältigen muss. Die entscheidende Lösung ist jedoch so einfach, dass selbst ein Kind sie verstehen kann. Wir müssen unseren Ausstoß von Treibhausgasen stoppen. Entweder wir schaffen es oder wir schaffen es nicht. ”
In Portugal hatten sich weniger als zwei Wochen vor Gretas Rede der Minister für Infrastruktur Pedro Marques, der Premierminister António Costa und der multinationale Konzern Vinci (der das staatliche Unternehmen ANA Aeroportos gekauft hatte) auf dem Luftwaffenstützpunkt Nr. 6 in Montijo getroffen. Sie unterzeichneten einen Vertrag über den Bau eines neuen Flughafens in Montijo und die Vergrößerung des Flughafens Portela womit die Anzahl der Flugzeuge pro Stunde in der Stadt von 38 auf 72 fast verdoppelt würde.
Der weitere Ausbau des Flughafens Portela würde diesen zu “einem der zehn größten in Europa” machen, sagt Pedro Nunes, Forscher für Energie und Umwelt am Instituto Dom Luiz der Universität von Lissabon. Die Fläche des Flughafens, der die größte Verschmutzungs- und Lärmquelle in Lissabon darstellt, würde etwa um ein Drittel vergrößert, sodass 28 weitere Flugzeuge geparkt, die größten Flugzeuge der Welt landen und 50% mehr Passagiere empfangen werden könnten. All dies, ohne eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchführen zu müssen.
Ein neuer Flughafen in Montijo auf der gegenwärtigen Militärbasis mit Ausrichtung auf Billigfluganbieter, würde das Ökosystem der Tejo-Mündung (Naturschutzgebiet) und die Lebensqualität tausender Menschen gefährden. Nachdem die erste Umweltverträglichkeitsprüfung von den zuständigen Behörden abgeschmettert wurde, wird nun eine zweite Studie ausgewertet.
„Zusammen werden die beiden Flughäfen zu einer riesigen Flughafenanlage, was den enormen Anstieg der Emissionen in diesem Gebiet von etwa 40% zur Folge haben wird”, sagt Pedro Nunes. “Dies widerspricht allem, was heute im Bereich des Klimawandels und der Eindämmung von Treibhausgasen erforderlich ist.” Aber das Szenario ist noch schlimmer. „Die gleiche Menge an Emissionen, die in der Troposphäre ausgestoßen wird, hat im Vergleich zu den am Boden freigesetzten Emissionen den doppelten Treibhauseffekt”.
Die Ausgaben für das Klima könnten durch Steuern gedeckt werden. Im Gegensatz zu Pkw und Lkw haben “Fluggesellschaften auf europäischen Flughäfen noch nie einen Cent Kraftstoffsteuer fürs Tanken gezahlt”, berichtet der Verein ZERO und beruft sich auf eine 2018 von der Europäischen Kommission erstellte Studie.
In Portugal sind Flugbenzin (Kerosin oder jet-fuel) und Flugtickets nicht steuerpflichtig. Diese Steuerbefreiung ermöglicht billigen Kraftstoff und hat dazu beigetragen, dass Flugreisen zu Niedrigpreisen und Billigfluggesellschaften zugenommen und in nur wenigen Jahren das Fliegen zur Gewohnheit gemacht haben.
ZERO argumentiert, dass eine Mindeststeuer auf Kerosin die Luftverkehrsemissionen um 11% senken würde – das entspricht 200.000 Autos weniger auf portugiesischen Straßen. Dies hätte keine Auswirkungen auf die Beschäftigung oder die Wirtschaft und würde der Regierung jährlich fast 500 Mio. Euro an Mehreinnahmen bescheren. In einem Jahr wäre das mehr als die Gesamtkosten eines neuen Flughafens in Montijo.
„Es ist an der Zeit, dass die europäischen Minister aufwachen und den Steuererleichterungen eines Sektors mit der größten Zunahme an Kohlenstoffemissionen ein Ende bereiten”, schrieb ZERO in einer Erklärung.
Der Verkehr ist die größte Treibhausgasquelle Europas und für nahezu 30% der Gesamtemissionen verantwortlich. Die CO2 -Emissionen der europäischen Luftfahrt sind in den letzten fünf Jahren um 26% gestiegen. Allein im letzten Jahr haben Kraftstoffverbrauch und Emissionen im Luftverkehr in Portugal um 7% zugenommen.
„Bei ungefähr 16% des Flugverkehrs in Lissabon handelt es sich um Inlandsflüge, die problemlos durch den Zug ersetzt werden könnten”, erläutert Pedro Nunes. “Auch der andere Teil könnte durch internationale Züge ersetzt werden.“
Pfeift nicht auf den Zug
Ende Mai unterzeichnete die Regierung den Vertrag für den Bau des letzten Abschnitts des künftigen internationalen Südkorridors von Portugal nach Spanien. Die für den Güterverkehr bestimmte Bahnlinie soll den Hafen von Sines mit Fronteira do Caia (Elvas) verbinden, ist aber auch für den Personentransport geeignet.
Es ist eines der Eisenbahnprojekte Ferrovia 2020, ein ehrgeiziges Programm, das darauf abzielt, den portugiesischen Schienenverkehr bis 2020 mit europäischen Mitteln zu modernisieren, ein Bereich, der seit 2011 extrem vernachlässigt wurde.
Anfang dieses Jahres hatte die Zeitung Público einen Zwischenbericht über den Stand der Umsetzung vorgelegt. Von den angekündigten 2,7 Mrd. € wurden nur Investitionen in Höhe von 158 Mio. € getätigt. Von 20 Projekten sollten acht abgeschlossen und elf in Ausführung sein. Keines war fertiggestellt und nur sechs befanden sich im Bau. Von den insgesamt 1.193 vorgesehenen Kilometern Eisenbahnlinie – 214km Neubau und 979km Modernisierung – wurden lediglich 166km modernisiert und es gab keinerlei Neubau.
Die Regierung hatte nur neun Prozent des Programms abgeschlossen.
“Die dürftige Umsetzung des Eisenbahninvestitionsplans steht im Widerspruch zu den enormen Bestrebungen der Regierung, die nur wenigen, in Umsetzung befindlichen Projekte zu propagieren”, ist in der Zeitung Público zu lesen. So fuhr beispielsweise Pedro Marques vergangenen November im elektrisch angetriebenen Zug von Nine nach Barcelos, um das Voranschreiten der Elektrifizierung auf dieser Strecke zu demonstrieren. Tatsächlich wurde aber das Hochspannungskabel an diesem Tag nur für den Zug des Ministers für Infrastruktur angeschlossen und bereits am späten Nachmittag wieder abgeschaltet – was dann auch so blieb.
Pedro Marques ist jetzt Abgeordneter im Europäischen Parlament, da er bei der Europawahl die Liste anführte, die von den wenigen Portugiesen, die zur Wahl gingen, die meisten Stimmen bekam.
Aufgrund der Verzögerungen bei der Umsetzung von Ferrovia 2020 und der Elektrifizierung der Strecken, war die CP (Portugals staatliche Eisenbahngesellschaft) gezwungen, vier weitere spanische Zugmaschinen anzumieten. Das Unternehmen wartet auch auf die Regierungsgenehmigung zur Einstellung von 88 Arbeitern.
Die Anzahl derjenigen Mitarbeiter, die kündigten, liegt jedoch viel höher.
In den letzten Monaten haben sich die Ausfälle im Zugverkehr vervielfacht, was zum Teil an der Überalterung der Züge liegt. Einige erreichen eine Laufleistung von 650.000 Kilometern und überschreiten damit das Limit für eine Revision, die im Sommer stattfinden soll. Wie im vergangenen Jahr kann diese Situation zu weiteren Zugausfällen führen, die an der Algarve, auf der Weststrecke und auf der Sintra-Strecke schon zur Gewohnheit geworden sind. Während der letzten drei Monate war von der CP niemand für ein Interview mit ECO123 erreichbar. Sollte der CP Präsident Carlos Gomes Pereira tatsächlich Angst vor den Fragen eines jungen Journalisten haben?
Das katastrophale Management der portugiesischen Eisenbahn begann in den 1980er Jahren, als die Regierung von Cavaco Silva anfing, massiv in Autobahnen und öffentlich-private Partnerschaften zu investieren.
“In Bezug auf die Kosten pro Passagier/km und Tonne CO2/km ist die Eisenbahn sehr wettbewerbsfähig und billiger als andere Transportmittel. Den großen Vorteil bietet sie jedoch aus ökologischer Sicht: Die Emissionen pro Passagier/km oder Tonne/km sind im Vergleich zum Straßen- oder Luftverkehr viel geringer. Und die Bahn verursacht keine lokalen Emissionen und belastet die Menschen nicht durch Verschmutzung, wie sie von den Autos verursacht wird”, erklärt Pedro Nunes.
“Ich denke, es wird eine große Veränderung im Bereich der Kohlenstoffbesteuerung geben. Es ist wahrscheinlich, dass sich das Paradigma Mobilität bei den Menschen ändern wird. Das Flughafenprojekt sollte alle zum Innehalten und Überdenken veranlassen.
“Es ist viel teurer, mit dem Zug zu reisen. Es gibt viele Leute, denen diese Option nicht offen steht. Dies könnte sehr schnell geändert werden, wenn der Zugverkehr stärker als der Flugverkehr gefördert würde”, sagt Miriam.
Die aktuellen Angebote lassen uns mit dem Flugzeug für wenig Geld in die Ferne reisen. Unsere Gesetze lassen das zu – nur das menschliche Gewissen kann diese Gewohnheit ändern.
Von Lissabon aus ist Madrid derzeit mit dem Zug in 10 Stunden und 15 Minuten, die französische Grenze in etwas mehr als 12 Stunden zu erreichen. Das entspricht für die Strecke von 925 km einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 75 Stundenkilometern. Jeden Tag um 21.25 Uhr verlässt der Südexpress den Bahnhof Santa Apolónia und kommt am folgenden Tag um 11.33 Uhr in Hendaye an – falls keine Störungen vorliegen.
Alexandre lässt sich nicht abschrecken. “Das Reisen mit dem Zug macht mir großen Spaß. Ich bin von Lissabon nach Covilhã gefahren, die Landschaft ist wunderschön. Auf diese Art kann ich die Landschaften Europas entdecken. Ich habe Zeit zum Nachdenken, in mein Tagebuch zu schreiben, kann im Internet unterwegs sein, Leute kennenlernen und mich mit ihnen unterhalten … Es gibt so viele Dinge zu tun! ”