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Humane Wirtschaftsdemokratie

Samstag, der 14. September 2024.

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Er sollte nicht völlig in Vergessenheit geraten. Vor 20 Jahren starb der große Wirtschaftswissenschaftler des Prager Frühlings in der früheren Tschechoslowakei, Professor Ota Šik, in seinem Schweizer Exil. Seine Ideen und Vorstellungen von Mitarbeitergesellschaften könnte man jetzt auch auf den Fall von Volkswagen gedanklich einmal durchspielen. Arbeit sei ein ganz wichtiger Faktor im Herstellungsprozess eines Produkts, neben Kapital, Grund & Boden und Maschinen, (Produktionsanlagen) und Arbeit sollte am Gewinn mit mindestens 25% beteiligt werden. Man stellt damit zum Beispiel ein Auto, oder auch etwas anderes her, einen Schrank, ein Paar Schuhe, ein buntes Kleid. Heute braucht man auch Computer als Teil von Produktionsanlagen.

Im damaligen Prag, vor mehr als 50 Jahren, komponierte Ota Šik die Wirtschaftslehre des „Dritten Weges“ und erzürnte damit die alten Männer der Sowjetunion in Moskau. So wurde Ota Šik, der Wirtschaftstheoretiker, verantwortlich für die Wirtschaft seines Landes und stellvertretender Premierminister der Tschechoslowakei. Er ging, als die Panzer kamen, ins Exil und fortan unterrichtete er an der Universität Sankt Gallen, in der Schweiz, die Wirtschaftslehre der „Humanen Wirtschafstdemokratie“. Er machte sich auch einen Namen als Künstler, denn er war auch ein begnadeter Maler.

Seine innovativen Ideen, Pläne und Forderungen an das kommunistische Regime in Moskau, effizienter und menschengerechter zu wirtschaften, provozierte die in der Sackgasse agierenden alten Männer der Planwirtschaft. Heute ist Ota Šik wieder aktuell, wenn es darum geht, vermeindlich strauchelnde Betriebe flexibel zu führen. Die Volkswagen AG, die immerhin noch 18 Milliarden Euro Gewinn für 2023 und 10 Mrd. Euro im ersten Halbjahr 2024 ausweist, will Arbeiter auf die Straße entlassenund einzelne Werke schließen – warum nicht in allen VW Werken eine Fünftage-Woche auf eine Viertagewoche verkürzen? Und warum sollten Arbeiter nicht an den Gewinnen partizipieren und somit am Kapital ihres Betriebes beteiligt werden? Und wenn die Konjunktur wieder anzieht, wenn ein Elektroauto von VW ein Hit werden sollte und sich auch verkaufen liesse, kehrte man zur Fünftage-Woche zurück.

Das Grundkapital einer Mitarbeitergesellschaft (MAG) nach den Ideen des Wirtschaftswissenschaftler Ota Šik ist einzelnen Personen oder Personengruppen gegenüber neutral. Es kann nicht an irgendwelche Personen (bei VW sind das die Familien Porsche und Piëch) aufgeteilt werden. Es gehört dem gesamten Betriebskollektiv oder gleichsam sich selbst. Es gibt keinerlei Anteilsscheine. Wer Mitglied einer MAG wird, ist automatisch Miteigentümer, wer sie verlässt, verliert automatisch alle Rechte und Pflichten. Mobilitätsprobleme werden dadurch vermieden. Neutralisiertes Kapital entsteht durch eine gesetzlich festgelegte Quote neu entstehender Betriebsgewinne, die in neutralisiertes Kapital verwandelt werden müssen. So können die Jahresgewinne, wenn der Laden boomt, in die Mitarbeitergesellschaft zurückfließen oder eben als Rücklage angespart werden, für schlechte Zeiten, statt jährlich an Börsen-Spekulanten als Dividente ausgeschüttet zu werden.

Alexander Dubček, Premierminister der Tschechoslowakwei im Jahr 1968 und Ota Šik, sein Stellvertreter, lernten sich während der Nationalsozialistischen Terrorherrschaft im Konzentrationslager Mauthausen kennen, in dem beide interniert wurden, weil sie nach der Annektion der Tschechoslowakei in den Widerstand gegen Deutschland gingen.

 

Uwe Heitkamp (64)

ausgebildeter Fernsehjournalist, Buchautor und Hobby-Botaniker, Vater zweier erwachsener Kinder, kennt sei 30 Jahren Portugal, Gründer von ECO123.Translations: Dina Adão, John Elliot,  Patrícia Lara
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