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Nº 110 – Die Turnhallen-Allianz

Samstag, der 16. Oktober 2021.

Der König ist tot, lang lebe der König? Überall im Land wurden in dieser Woche die neuen „kleinen Könige“ und die gewählten Vertreter der Kreistage und der Stadträte in ihre Ämter eingeführt. Hurra! In Monchique ist das nicht viel anders als im 621 km entfernten Bragança oder in Torres Vedras, dem Herzen Portugals. Dazwischen liegen 308 Landkreise und 3091 Gemeinden. Die Demokratie der Kommunalwahlen des Jahres 2021 (bis 2025) hat ihre speziellen Zeremonien wie auch die Monarchie ihre vor 1910 hatte.

Um es kurz zu machen. Wir gingen vorher noch schnell in einem Restaurant zu Abend essen, denn so eine demokratische Zeremonie ohne Orchester und ohne Buffet ist manchmal etwas anstregend. Heute Abend wird nicht über Waldbrände geredet, sagte meine Frau noch. Eine politische Veranstaltung an einem Samstagabend um 21 Uhr ist immer etwas Besonderes, nicht nur weil es dort weder etwas zu essen noch etwas zu trinken gibt. Man darf auch nicht locker sein und nicht aus der Rolle tanzen. Viele junge Leute haben sich deshalb vermutlich den neuen James Bond im Kino in Portimão angeschaut. Sie hätten das nicht tun sollen. Wäre die Tomada de Posse eine Tanzveranstaltung, ein Ball mit viel Pimba-Musik, in Monchique kann man bei noch knapp 5.000 Einwohnern, immer mit einigen hundert Gästen rechnen, die einen neuen König Fähnchen schwingend willkommen heissen würden. Wenn es denn wenigstens ein kaltes Buffet und ein Glas Sekt, ein Glas Bier oder wenigstens einen Café mit Medronho gegeben hätte, wie bei der Feira dos Enchidos. Denn wenn es etwas Besonderes mit Musik und etwas weniger steif zu feiern gäbe, kommen immer alle mal vorbei, den neuen „gewählten König“ mit einem Prosit für vier demokratische Jahre zu begrüßen.

Die Amtseinführung eines neuen „Presidente da Câmara Municipal“ hätte ganz sicherlich einen Rahmen mit Musik, Gesängen und was Richtigem “zum Spachteln“ verdient. Denn die Demokratie zu feiern ist wichtig, wenn sie denn allen wertvoll genug ist. Die Tomada de Posse, die Inthronisierung und der Schwur der gewählten politischen Vertreter, fand dieses Mal in Monchique in einer Sporthalle und in keinem Palais statt. Unter den Bedingungen einer ausklingenden Pandemie wollte man nicht im viel zu kleinen Bürgersaal des Rathauses selbst feiern, wie früher durchaus üblich. Einen großen Bürgersaal gibt es in Monchique (noch) nicht und in das Casa do Povo regnet es hinein, die Fenster sind zerbrochen. Hier findet der Neue sogleich eine Baustelle für seine zukünftige Arbeit. Der ausgschiedene „kleine König“ hielt eine kurze Abschiedsrede. Einen Waldbrand und irgendeine Verantwortung dafür, erwähnte er mit keiner Silbe. Die stillen Opfer werden es ihm danken und auch meine Frau.

Als ich das letzte Mal an einer solchen Zeremonie teilnehmen durfte, ich gehöre zu den ganz wenigen Ausländern, die Journalisten sind und die zuschauen dürfen, mußten einige Damen und Herren auf die Straße gebracht werden, denn der Sauerstoff in der Luft des kleinen Rathaussaals wurde knapp. Keiner hatte den Mut, die Fenster weit zu öffnen, um frische Luft in den Muff von 27 Jahren Amtszeit des Vorgängers hineinzulassen. Nun ist man von Seiten des Rathauses dazu übergegangen, die Tomada de Posse in einer Art Turnhalle im Obergeschoss der Feuerwehr auf einem Handballspielfeld abzuhalten und per Youtube-Kanal zu übertragen: Moderne Demokratie light. Unten auf dem Handballfeld sitzen die gewählten Verteter und die Ehrengäste der Feuerwehr, Polizei und des Militärs auf unbequemen Stühlen und auf den Rängen das gemeine „Stimmvieh“ auf Bänken, das zugucken darf.

Und Technik ist in Monchique auch nur dazu da, ganz besondere Tücken zu entwickeln. Besonders Mikrofone und das Mischpult für die beiden Lautsprecher zählen (noch) nicht zu den Aufgaben der dafür engagierten Amateure mit Diplom. Gucken Sie sich die Tomada de Posse auf Youtube einmal in Ruhe an. Dann werden Sie mir vielleicht zustimmen. Mehr als Gemurmel ist da nicht zu hören. Sie werden nichts verstehen, weil die Mikrofone einfach ganz leise eingestellt wurden. Der Zeremonienmeister in Monchique ist der Vorsitzende des Kreistages. Er heißt Carlos. In der Regel nuschelt er immer ein wenig und er redet viel zu schnell. Auf den Rängen war er nicht zu verstehen auf Youtube immerhin noch sehr leise. Man muß ein Ohr an die Lautsprecher des Laptops halten und viel Fantasie mitbringen ... Es kann eigentlich nur noch besser werden in Monchique.

 

Der “neue König” ist nun ein Sozialist und heisst Paulo Alves. Unsere Gratulation. Als er seine Rede hielt, las er diese (noch) von einem Blatt Papier ab. Sein Vorgänger von der PSD war da vor 12 Jahren nicht anders. Der hat erst während der Amtszeit das freie Sprechen erlernt. Immerhin funktionierten dann auf einmal doch noch die Lautsprecher. Auf geht es, es liegt viel Arbeit vor uns, hörte ich noch…

Der Unterschied zwischen Mensch und Tier ist ja der, daß wir Menschen das Bewußtsein besitzen, genau zu wissen, daß es bald mit uns zu Ende gehen könnte, falls die Politik keinen gesetzlichen Rahmen schafft, Waldbrände zu vermeiden. Die einen wissen und ignorieren, die anderen werden krank oder verrückt und sterben. So ist das mit den Waldbränden und dem lieben Leben. Wir wollten unser Wissen an diesem Abend, das uns allen Grund zum Feiern gegeben hätte, lieber verdrängen und verließen die Sporthalle nach 95 langen Minuten der heißen Luft. Es wurde noch etwas geklatscht, als wir die Treppe hinuntergingen und auf die Straße in die Dunkelheit traten.

Uwe Heitkamp (60)

ausgebildeter Fernsehjournalist, Buchautor und Hobby-Botaniker, Vater zweier erwachsener Kinder, kennt sei 30 Jahren Portugal, Gründer von ECO123.
Übersetzungen : Dina Adão,  João Medronho, Kathleen Becker
Fotos: Uwe Heitkamp

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