Samstag, der 24. Oktober 2020
Schaut einer etwas genauer in die neuesten OECD Statistiken, die sich mit der Einnahme von Antidepressiva beschäftigen und vergleicht diese mit den Zahlen aus den anderen 26 EU-Staaten, stellt fest, dass Portugal an der Spitze der Konsumenten dieser von Ärzten verschriebenen Droge steht. Sowohl Deutschland als auch Frankreich und Italien konsumieren nur etwa die Hälfte. Und sogar Dänemark liegt mit 77 und Spanien mit 75 Tagesdosen auf 1.000 Einwohner gerechnet weit hinter Europameister Portugal mit 103,6 Einheiten. Das macht einen einerseits fassunglos, erklärt aber andererseits das tägliche Leben bei uns. Seelische und materielle Probleme werden nicht mittels Kommunikationsstrategien auf einen Lösungsweg gebracht, sondern durch Beschwichtigung und Verdrängung. 103,6 Tageseinheiten auf 1.000 Einwohner gerechnet bedeutet konkret eine Anzahl von nahezu neun Millionen Schachteln Antidepressiva pro Jahr, die von den Apotheken an den Kunden verkauft werden.
Soweit, so schlecht. Antidepressiva werden bei Angstzuständen verabreicht und bei Suizidvorhaben. Aber auch wer mit starken kontinuierlichen Kopfschmerzen den Arzt aufsucht, bekommt in der Regel ein Rezept mit der Droge in die Hand gedrückt. Der Arzt macht es sich dabei einfach, statt psychologische Beratung und Therapien verschreibt er die billigeren Pillen. Dabei sollten Ärzte grundsätzlich zwischen einer Depression, einem Burn-Out-Syndrom und Migräne unterscheiden und auf die Ursachen eingehen können, besonders während der Covid-19 Pandemie. Wer schlaflose Nächte verbringt oder in den Sommermonaten unter Angstzuständen z.B. in Zeiten vor oder nach Waldbränden leidet, sollte auf keinen Fall mit der Einnahme der Pillen beginnen, ohne eine zweite ärztlichen Meinung einzuholen, auch und vor allen Dingen aus zweierlei Gründen: erstens können Antidepressiva die Probleme nicht wirklich lösen, sie sedieren statt zu heilen und zweitens sind sie sehr schwer wieder abzusetzen, weil sie ein hohes Suchtpotential besitzen.
In einem Fachartikel des Magazins sciencedirect von Oktober 2019 schreiben die Wissenschaftler James Davis und John Read, daß mehr als die Hälfte (56%) der Menschen, die versuchen, von Antidepressiva loszukommen, Entzugserscheinungen erleben. Fast die Hälfte (46%) der Personen, die Entzugserscheinungen haben, beschreiben diese als schwerwiegend. Es sei nicht ungewöhnlich, dass die Entzugserscheinungen mehrere Wochen oder sogar über Monate andauerten. Die aktuellen Leitlinien unterschätzen den Schweregrad und die Dauer des Entzugs von Antidepressiva mit erheblichen klinischen Auswirkungen.
“Prinzipiell folgt die Strategie der kleinen, langsamen Schritte der richtigen Logik”, erklären die Wissenschaftler. Durch das Absetzen komme es zu einem Mangel an bestimmten Botenstoffen wie Serotonin im Zentralen Nervensystem – und auf den müsse sich der Körper langsam einstellen. Warum selbst langsames Absetzen der Medikamente Beschwerden auslösen kann, erörterten die Wissenschaftler. Bisher habe man die Dosis meist in gleichbleibenden Schritten gesenkt, immer um fünf Milligramm zum Beispiel. Antidepressiva wirkten jedoch umso effizienter, je niedriger der Spiegel des jeweiligen Botenstoffs sinke. “Eine Reduzierung von fünf auf null Milligramm wirkt daher viel drastischer als eine von 20 auf 15 Milligramm”, erklären sie.
Letztlich müssten Arzt und Patient im Einzelfall vorsichtig abwägen, um wie viel die Dosis reduziert werden könne, damit das Absetzen noch verträglich sei. Das hänge von vielen Faktoren ab, etwa davon, wie lange der Patient den Wirkstoff eingenommen hat und wie schnell der Wirkstoff im Körper abgebaut wird, aber auch von der genetischen Veranlagung, die den Stoffwechsel beeinflusst. Die Studie empfiehlt daher, nach einer geringen Reduktion der Anfangsdosis zu schauen, ob Symptome auftreten, wie stark und dauerhaft diese sind, und dann über das weitere Vorgehen zu entscheiden.