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Nº 94 – In zehn Schritten klimaneutral werden?

Samstag, der 3. Juli 2021

Wirklich? Und der erste Schritt geht in welche Richtung? Ich schaue mir nur noch Wetterberichte an, in denen Metereologen die Hintergründe chaotischen Wettergeschehens erhellen und Zusamenhänge erklären. Es geht nämlich nicht nur um das WAS passiert WANN, WIE und bei WEM, sondern auch um das WARUM passieren Temperaturschwankungen von 15 Grad Celsius? Es geht um kausale Zusammenhänge. Und das funktioniert nur mit dem Willen zum Wissen und seiner Weitergabe. Es ist wie bei einem Autounfall. Da gibt es immer mehrere Szenarien. Weggucken und weiterfahren ist eine beliebte Methode. Genau hinschauen, um sich dann doch abzuwenden, eine andere. Dem Nächsten in Not Befindlichen helfen wäre eine dritte Option. Wo stehe ich, wenn ich ernsthaft gefordert werde? Helfe ich einem Unfallopfer aus dem brennendem Auto zu kommen – oder fahre ich lieber dran vorbei und weiter? Bringe ich mein eigenes Leben in Gefahr, wenn ich jemandem helfe? Dazu muß das Auto heute nicht mehr brennen. Es reicht schon, es mit Benzin, Gas oder Diesel zu betreiben. Die Abgase durch weltweit vier Milliarden Verbrennermotoren tun es auch. Auch wenn es jeder Zweite macht, ist es immer noch nicht klimafreundlich.

Anderes Beispiel: warum belegen wir einen Erste Hilfe Kurs, wenn wir einen Führerschein machen? Was hat das mit dem Klimawandel zu tun? Reicht in diesen Tagen so ein Kurs bei einer Fahrschule, um ein Auto fahren zu können, oder braucht es dafür nicht etwas mehr? Es ist belanglos, mit einem Menschen über Klimaneutralität zu diskutieren, ohne die eigenen Werte der CO2 Emissionen zu kennen. Oder? Den eigenen Fußabdruck zu kennen wiederum bedeutet, sich damit beschäftigen zu wollen und auch, sich bereits damit beschäftigt zu haben. Es ist immer einfacher, darauf zu verweisen, die Lösung liege darin, die weltweit 100 größten CO2 Emittenden abzuschalten, die für 71% des CO2 verantwortlich sind, oder politische Lösungen zu finden und damit den Zeigefinger auf einen anderen zu richten, um sich selbst aus der Verantwortung zu stehlen.

Wer wissen will, wieviel CO2 bei einer Autofahrt verursacht wird, kann das sehr schnell in seinem Fahrzeugschein (in Portugal: Documento Único) herausfinden. Dort steht unter V7 der CO2 Wert in g/km gemessen. Wer seine gefahrenen Kilometer zählt, kennt die eigenen wöchentlichen Emissionswerte. Und wer ihn in der Mobilität kennt, kann ihn sich einfach auch beim Stromverbrauch mit ausrechnen. Genau hier braucht es verbindliche Gesetze. Einen Emissionspaß, der genau angibt und regelt, wie viel jeder Bürger im Jahr an CO2 emittieren darf, ist sozial gerecht, weil jedeR das gleiche CO2-Budget bekommt. Und wer diesen Wert einhält oder unterschreitet, zahlt weniger Steuern, wer das Budget aber überzieht, zahlt eine dynamisch gestaffelte CO2 Steuer pro Tonne Mehremission. Ich bin kein Wahrsager, wenn ich hier behaupte, daß der Emissionspaß innerhalb der EU demnächst eingeführt wird. Es ist nur noch eine Frage der Zeit.

Gespräche haben keine Relevanz, wenn wir über das Klima sprechen wie über das Wetter. Es braucht Verbindlichkeit und überprüfbare Fakten. Veränderung zum Besseren funktioniert aller Wahrscheinlichkeit auch nur, wenn eineR selbst vom Klimawandel betroffen ist. Wer einen Waldbrand am eigenen Körper, an der eigenen Seele überlebt hat, oder einen Hagelsturm, meterhohe Überflutungen nach signifikanten Regenfällen bei Gewittern, Wettersituationen wie Hurrikane oder Tornados, der wird bereit sein, sich weiterzuentwicklen. Wer im Klimawandel zum Verlierer wird, und das werden aller Vorraussicht nach in den kommenden Monaten und Jahren hunderte von Millionen Menschen, beginnt sein Verhalten zu ändern. Zu spät?

Möglicherweise. Denn konkret stellt sich die Frage, ob dann ein Erste Hilfe Kurs noch reicht, wenn eineR den Führerschein macht. Sollte nicht heute bereits auch Klimaunterricht in den Fahrschulen gegeben werden? Reicht das, was heute in den Schulen gelehrt wird, um im Leben klimagerecht zu wachsen? Erst wenn das eigene Sofa vor dem Fernseher oder Laptop brennt, beginnt der Konsument von Kartoffelchips darüber nachzudenken, den Hintern hochzukriegen, um einen Feuerlöscher zu holen. Das sagte mir ein Anwohner beim letzten Waldbrand in Vila do Bispo. Er habe immerhin noch seinen Laptop retten können, als er mit seinem Benziner die Flucht antrat. Wenn aber am Auto, mit dem einer vor dem Waldbrand flieht, die Reifen platzen, weil der Asphalt bereits geschmolzen ist, bei dem kommt sowieso jede Hilfe zu spät. Was also sollen, was können wir machen, um Erkenntnis und Handlungsbereitschaft miteinander zu verknüpfen?

Klimaneutral zu werden, hat einen ganz realen Hintergrund. Sensibilisierung ist so ein Wort. Ohne Sensibilisierung keine Gehirnfunktion. Bisher tauscht ein großer Teil der Menschheit lieber das brennende Sofa mit einem anderen Platz, von wo es sich aus – ungestört noch eine Weile in Ruhe gelassen – weiterleben läßt. Bei Störungen rufen wir den Mechaniker zu Hilfe, die Feuerwehr oder den Pizzaservice. Fernsehen, Internet und Smartphone sind einfacher zu handhaben, als sich selbst einfaches Wissen anzueignen, wie Artenvielfalt in Flora und Fauna zu erhalten sind. Wie können wir als Menschheit, die wir die Klimakrise verursachen, das Problem wieder lösen? Dazu braucht es Sensibilisierung. Die Frage die sich stellt ist, wer will schon selbst zehn Schritte alleine gehen? Will man wirklich nicht bei sich selbst beginnen? Es ist schon schwer genug, den ersten Schritt zu machen. Wer aber diesen ersten Schritt gemacht hat, für den gibt es kein Zurück mehr. Und überhaupt, jetzt ist Wochenende. Erst nächste Woche sollen die Temperaturen um 15 Grad Celsius steigen.

 

Uwe Heitkamp (60) & Alfredo Garcia Revuelta

Uwe ist ausgebildeter Fernsehjournalist, Buchautor und Hobby-Botaniker, Vater zweier erwachsener Kinder, kennt sei 30 Jahren Portugal, Gründer von ECO123.
Übersetzungen : Dina Adão, Tim Coombs, João Medronho, Kathleen Becker
Fotos:Alfredo Garcia Revuelta, dpa

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