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Garranos

Faia Brava

Auf den Spuren wilder Pferde

Abutre do Egipto
Abutre do Egipto
© Erik Menkveld

Wieder einmal bin ich zu Fuß unterwegs. Wir haben den Geländewagen im unwegsamen Gebiet stehen gelassen. Behutsam folgen wir den Spuren auf den Pfaden über die Hügel. Es hatte geregnet, das Wetter brachte Feuchtigkeit und Kälte aus der Serra de Estrela herüber. Die Hufe der wilden Pferde hatten ihre Markierungen im Boden hinterlassen. Hier und da liegen ein paar frischere Pferdeäpfel im Gras des Reservats, auch ein paar ältere Kuhfladen. Die noch warmen weisen darauf hin, dass wir richtig gehen. Tief unter uns in der Schlucht schießen die reißenden Gewässer des Rio Coa nach Norden. Er ist der einzige Fluss, der in Portugal von Süd nach Nord fließend, aus dem Gebirge kommend, in den Rio Douro mündet. Im Winter steht er hoch mit seinen gefährlichen Stromschnellen und Strudeln. Im Sommer hingegen schrumpft er zu einem kleinen Rinnsal, erklärt mir João Quadrado, studierter Biologe der Universität Coimbra und Aveiro. Er stammt aus Figueira de Castelo Rodrigo, einem Dorf mit nicht viel mehr als 2.000 Einwohnern im Beira Interior, einem Landstrich im Nordosten Portugals mit 25 Landkreisen, aus dem die jungen Leute zuhauf in die großen Städte fliehen und nur noch wenige auf Urlaub zurückkommen, um ihre Zurückgebliebenen zu besuchen. Der junge 29-jährige Biologe allerdings kam nach seinem Studium sofort zurück, weil er eine adäquate und schöne Arbeit fand und das bei einem Naturschutzverein.

Faia Brava
Faia Brava
© Annemiek Leuvenink

Drei Grad Celsius. Strömender Regen. Letzte Woche hatte es hier noch geschneit. Mit dem Zug über Lissabon und Coimbra war ich nach Guarda gefahren, hatte mir bei einem Käsebrötchen und einer Tasse Kaffee eine zweieinhalbstündige Wartezeit im Bahnhof totgeschlagen und dann den Fahrschein für sechs Euro vierzig nach Figueira de Castelo Rodrigo beim Busfahrer gelöst. Figueira de Castelo Rodrigo? Ich kramte noch einmal in meinem Rucksack nach meiner Landkarte. Von Guarda aus lag das Dorf noch einmal 49 Kilometer auf der Nationalstraße 221 in Richtung Nordosten. Endlich, um zwanzig vor fünf abends kommt der Bus. Ich steige ein, weiß in diesem Augenblick aber noch nicht, worauf ich mich wirklich einlasse. Der Bus zuckelt los, hält, fährt wieder an, hält wieder und fährt mit 40 Stundenkilometern gemütlich irgendwohin, nur nicht in Richtung Nordosten, da wo ich hinwill. Wir halten nach einer Stunde in der Grenzstadt Vilar Fomoso und nehmen eine Horde Schüler auf. Zuerst aber geht der Fahrer noch einmal nach draußen, öffnet die Motorhaube und prüft bei laufendem Motor eingehend, ob der selbige noch genügend Öl hat. Und weiter geht die Fahrt. Dann hält der Bus in diesem Dorf und in jenem, und immer steigen hier und dort ein paar Schüler wieder aus. Irgendwann bin ich der allerletzte Passagier. Und weiter geht es über Dörfer und Felder. Mal hält er, mal düst er durch. Nach welchem Gesetz diese Bustour funktioniert wird mir nicht klar. Langsam wird es dunkel. Nach knapp drei Stunden, um 19:30 Uhr erreichen der Busfahrer und ich Figueira de Castelo Rodrigo. Mit dem öffentlichen Personennahverkehr, mit Bus und Bahn, steht es in Portugal noch nicht wirklich zum Besten.

Barbara País e Joao Quadrado
Barbara País e Joao Quadrado

Am nächsten Tag hatten sich die schweren Regenwolken verzogen. João Quadrado und Barbara País, die Verantwortliche für die Öffentlichkeitsarbeit des Vereins, wandern mit mir durch das 850 Hektar große Naturreservat Faia Brava, das der Verein ATN (Associção Transumânçia e Natureza, siehe www.atnatureza.org) in großen Teilen in den vergangenen zwölf Jahren Stück für Stück erwerben konnte. Es gehört zu einem 2.000 Hektar großen Naturschutzgebiet der Rede Natura 2000, das der gemeinnützige Naturschutzverein managt. Er ist damit der erste und einzige private Träger in Portugal, der hier vor Ort ein Konzept in die Realität umsetzt, was kaum irgendwo sonst klappt, zusammengefasst unter dem Stichwort Rewilding Europe. Nun befinden wir uns auf den Spuren einer kleinen Herde von Wildpferden der alten iberischen Rasse Garrano, die in Faia Brava im Jahre 2008 ausgesetzt worden waren. Aus damals fünf sind heute 20 Pferde geworden. Auf meine Frage nach dem Warum antwortet João Quadrado, dass sich mit dem Aussetzen von Pferden und Kühen die Waldbrandgefahren deutlich reduziert haben jund der Boden fruchtbarer würde. Derzeit weiden auch wieder zehn Auerochsen der alten Rasse Maronesa im Naturschutzgebiet des Rio Coa. Es geht dabei um die Rückzüchtung dieser alten robusten Naturrasse von Rind. Nach einer zweistündigen Wanderung und in der Nähe eines Baches, stoßen wir endlich auf das erste Pferd, vier weitere folgen und hinzukommen noch eine Stute und ihr neugeborenes Fohlen. Als sie uns wittern, bleiben sie ohne Scheu stehen. Aber näher als 50 Meter lassen sie uns nicht heran. Langsam überqueren sie den Bach und weichen uns aus. Wir weichen zurück. Langsam entfernen wir uns wieder.

Wer hier eine Wanderung unternimmt, trifft wieder auf fast unberührte Natur.
Trilho da Barca
Trilho da Barca

Die Vegetation ist reich an Felsen, aber auch an Flechten und Moosen in allen Farben, dazu Büsche, Kräuter und Steineichen. Hier und da treffen wir auf einen Olivenhain mit jahrhundertealten Beständen, der sich in seinem natürlichen Wachstum ungehindert, aber rundum vom Unterholz befreit, ausbreiten kann. Im Faia Brava Reservat wird jedes Jahr die Olivenernte gefeiert. Der Verein produziert zwischen dreieinhalb- und fünftausend Liter biologisches Olivenöl. Von jeder verkauften Halbliterflasche zum Preis von sieben Euro wird ein Bonus von € 2,50 auf ein Sperrkonto abgeführt. Von diesem Geld wird weiteres Land gekauft. Unsere Wanderung führt auch an sehr alten Mandelbaumkulturen vorbei. Auch die Mandeln werden geerntet und danach in Zimt und Zucker geröstet. Marmeladen, Honig und andere biologisch angebaute Produkte vervollständigen die Produktpalette des Vereins, um sich von staatlichen Zuschüssen unabhängiger zu machen. Gerade wurde ein neuer, 220 Kilometer langer Wanderweg beschildert und eingeweiht. Über das portugiesische Crowdfunding PPL finanzierte man acht Zelte, um Kindern und Jugendlichen mit ihren Lehrern aus den Schulen des Distriktes die Möglichkeit zu bieten, mal in purer Natur zu übernachten. Wer hier eine Wanderung unternimmt, trifft wieder auf fast unberührte Natur. Nur Schäfer mit ihren Herden kreuzen manchmal den Weg hinauf oder hinunter in die Schluchten des Rio Coa. Über uns kreisen zwei Grifos (Gyps fulvos, siehe http://www.avesdeportugal.info/gypful.html) in der Stille des Naturschutzgebietes. Mit ihrer enormen Spannweite von nahezu drei Metern sind sie noch größer als Adler. Einen Besuch bei den Geiern haben wir uns für den Nachmittag vorgenommen. Als es wieder zu regnen beginnt, suchen wir Schutz unter einem Baum. Es ist nicht mehr weit bis zum Geländewagen, der uns ins Hauptquartier des Vereins bringt.

Grifos (Gyps fulvos)
Grifos (Gyps fulvos)
© Hugo Sousa Marques

Nach dem Mittagessen machen wir uns zu einer zweiten Wanderung auf den Weg. Neben der Wiederaufforstung mit Korkeichen gehört auch die ökologische Wissensvermittlung über Flora und Fauna der Region zu den wichtigsten Aufgaben des Vereins. Die Fauna des Coa-Tals ist vielfältig. Hier leben insgesamt 149 Wirbeltierarten, darunter sechs Fischarten, neun Amphibien und neun Reptilien, mehr als 100 Vogelarten und 25 Säugetiere, einige von ihnen sind vom Aussterben bedroht. Die traditionelle Landwirtschaft lebte vom Roggen und auch Tauben wurden gezüchtet, um des Düngers willen. Vorsichtig nähern wir uns dem Projekt der Geier, die sich naturgemäß nur von Aas ernähren. João Quadrado hat mit seinem Team ein eingezäuntes Reservat von der Größe eines Hektars im Reservat geschaffen, auf dem tote Tiere abgelegt werden. Wohin mit einem toten Schaf? Die Schäfer erhalten an diesem speziellen Ort in Faia Brava einen sicheren und hygienisch unbedenklichen Friedhof für ihre toten Tiere. Zirka 30 Geier unterschiedlicher Rassen kommen in gewisser Regelmäßigkeit zu diesem Fress- und Futterplatz. Von einem Unterstand (Abrigo) aus beobachten Wissenschaftler verschiedener Länder immer wieder die Fressgewohnheiten des Neophron percnopterus, des vom Aussterben bedrohten sogenannten ägyptischen Geiers, der hier nur zwischen März und September weilt. Sie analysieren seine Vorlieben, Charaktereigenschaften und Ernährungsgewohnheiten. Mehrere wissenschaftliche Arbeiten darüber sind in Arbeit. „Naturschutz, betont João Quadrado beim Fotoshooting, „heißt für uns immer wieder zurück zur Natur. Faia Brava verwalten wir ausschließlich zum Zweck der Erhaltung der Natur und der biologischen Vielfalt.“ Mit einem Fernrohr beobachten wir aus weiter Ferne die Brutplätze der Raubvögel in den Felsenschluchten des Rio Coa. Hier leben sie gesund, ungestört und sicher vor den toxischen Erfindungen des Menschen und seiner chemischen Industrie für die Landwirtschaft.

LESERREISE:
ECO123 bietet seinen Abonnenten exklusiv eine 10-tägige Leserreise mit Wanderung im Naturreservat Faia Brava an. Die Reise findet vom 6. bis 15. Juni statt und ist auf eine Kleingruppe von sechs Abonnenten beschränkt. Mehr Informationen über den Verlauf der Expedition, die Kosten und die notwendige Ausrüstung erhalten Sie unter www.eco123.info.

About the author

Uwe Heitkamp, 53, Journalist und Filmemacher, ist seit 25 Jahren in Monchique, Portugal zuhause. Er unternimmt gern lange Wanderungen in den Bergen und schwimmt in Gebirgsbächen und Seen. Schreibt und erzählt Geschichten über Menschen und ihre Bezüge zur Ökologie und Ökonomie. Sein aktueller Film „Erben der Revolution“, erzählt über 60 Minuten die Geschichte einer Wanderung durch Portugal. Zehn Menschen berichten aus ihrem Leben. Alle Protagonisten zusammen malen ein Bild vom Leben und Arbeiten in den Bergen Portugals. Der Film offenbart Einblicke in die Schönheit der Natur und das Leben der normalen Menschen. Welcher Weg bestimmt die Zukunft des Landes? (Abonnieren Sie ECO123 und sehen Sie den Film in der Mediathek)
CO2 emission:
Monchique – BHF Santa Clara – Coimbra – Guarda – Figueira de Castelo Rodrigo und zurück, 1415 km Zugfahrten 21,78 kg, Auto- und Busfahrten 31,36 kg, Total 53,14 kg CO2, Reisekosten & Spesen € 211

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