Schritt Eins: Vegetarisch kochen lernen…
Ich sitze am gedeckten Frühstückstisch – Brot, Butter, Käse, ein Ei – so wie das in einem Hotel so üblich ist, die Tasse Kaffee, der Orangensaft, das Müsli. Ich lasse gerade den gestrigen Abend Revue passieren und versetze mich in einen Fleischesser, in einen Menschen, dem da gesagt wurde, ab morgen gäbe es für ihn kein Fleisch und keine Wurst mehr zu essen. Aus Gründen der Ethik, oder weil das Klima kippt. Alles steht auf dem Spiel. Wäre ich ein Fleischesser, der ich einmal war, wäre ich jetzt wütend, miserabel drauf, schlecht gelaunt und würde die ganze Welt für diese verfluchte Misere verantwortlich machen. Das Klima? Was hat das denn mit mir zu tun? Ich lebe bewußt und wähle … – das spielt keine Rolle. Ist ja privat. Und noch was, ich würde mir gar nicht sagen lassen, daß es für mich ab morgen kein Fleisch mehr zu essen gäbe. Ich würde den Menschen auslachen, notfalls an seinem Verstand zweifeln. Das alles sei nicht wirklich glaubhaft. Wo bin ich denn? Im falschen Film? Wie kann einer es wagen, mir vorzuschreiben, wie ich mich zu ernähren habe? Wir leben doch in einer Demokratie!
Schnitt. Ich beginne diesen Film lieber noch einmal ganz von vorn zu erzählen, irgendwie muß auch das möglich sein. Da kommt eine Freundin vorbei und lädt mich zum Essen ein. Ja, so könnte dieser Film beginnen. Das macht es ein wenig spannend und auch anders. Die Frau lädt den Mann ein. Warum auch nicht? Sie macht daraus ein Geheimnis. Sie sagt nicht, wohin diese Reise gehen soll, auf die sie mich mitnehmen möchte, was seltsam ist. Das hat sie noch nie gemacht. Sie will mich vermutlich überraschen. Mit mir essen gehen. Ob ich nicht neugierig sei? Hm. Ja, ich bin ein wenig neugierig und bekomme sogar Appetit, gebe ich zu. Morgen Abend werden wir also da essen gehen, wo wir noch nie waren und wir wollen uns von den Künsten des neuen Kochs überraschen lassen. Donnerstag. Ok. Noch einen Tag Warten. Dann soll unsere Reise in eine andere Welt beginnen.
Ich werde zu einem Essen eingeladen. Es kostet mich keinen Cent. Ich muß nur aufstehen, mich zu einem Stuhl, an einen Tisch bewegen und ein wenig Zeit mitnehmen. Kein Geld. Sagt sie. Einem geschenkten Gaul schaut man doch nicht ins Maul, oder? Gleich darauf werde ich aus dem Hinterhalt gefragt, ob man Tiere töten dürfe, nur aus Gründen des guten Geschmacks? Darf man Tieren Schmerzen zufügen? Sind Schweine zu intelligent für die Massentierhaltung? Die Fragen hören nicht auf. Tun dir die Tiere leid, die auf deinem Teller landen? Man sagt ja, dass in der Sekunde des Todes das ganze Leben im Zeitraffer an einem vorbeizieht. Was denkst du, welche Geschichte würde dir ein Tier von seinem Leben in der Minute erzählen können, in dem es geschlachtet wird, erschossen bei der Jagd, zu Tode erschrocken beim Transport ins Schlachthaus, mit einer schlimmen Vorahnung, vor dem Schlafengehen in einer Massenunterkunft, wenn es leise wird unter 30.000 Hühnern?
Es ist Donnerstag. Ich werde eine Gemüsesuppe als Vorspeise essen, male ich mir in Gedanken aus. Es kommt anders. Ich esse ein Feuerwerk aus Salaten und Gemüsen des Restaurants. Das Restaurant hat einen eigenen Garten. Rukola und Frisé sowie Salate in allen Farben bis hin zu den roten und gelben Blüten von Kresse. Rote Beete, Möhren, Erbsen, einen Avocadobaum, Zwiebeln, rote und weiße; Erdbeeren und auch Bohnen, die Hühner freilaufend, die Ziegen und Schafe werden jeden Tag vom Schäfer beim grasenden Spaziergang begleitet. Die Geschichte, die uns Marek Horvath, der Koch erzählt, klingt wie ein Märchen. Er erzählt die Story vom Süßkartoffelpüré mit Spießen aus Pilzen und Tofu usw. und von Lebensmitteln aus dem eigenen Garten, klimaneutral angebaut, keine Transporte, Herkunft zertifiziert. Ob er glaubt, was er mir da alles erzählt? Komm mit, sagt Lesley Martin, die Permakultur-Lehrerin, guck es dir selbst an. Wir gehen in den Garten. Bananenbäume, Aprikosen, Pfirsiche und vieles mehr. Das ganze Jahr Früchte und Gemüse. Ob es stimmt, was sich da im Gaumen entfaltet? Ich kann mir ein Sorbet aus Roten Früchten und Bananen zum Nachtisch aussuchen. Saisonal abgestimmte Gerichte. Ich möchte mehr wissen und nehme die Einladung dankend an, an einem der Workshops teilzunehmen. Ich werde vegetarisch kochen lernen, immer dann, wenn er seine Küche und den Garten mit seinen ausgewählten Gästen teilt. Transparenz ist ein erster bedeutsamer Schritt zur Authentizität und für ein gesundes Leben.
Manchmal brodelt es in einem und man trifft nach langem Nachdenken eine wohlüberlegte Entscheidung. Manchmal dringt aus dem tiefsten Inneren eine Einsicht hervor, die offenbar schon lange verborgen lag und sich nur noch nicht durchgesetzt hat. Seit drei Jahren esse ich keine toten Tiere mehr. Langsam sehe ich mich wieder klar, wenn ich morgens in den Spiegel schaue. Man lernt nie aus, wenn man sich bis ins hohe Alter geistig fit hält. Dann, und nur dann, findet man zu sich selbst.
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Quinta Vale da Lama in Odiáxere bei Lagos (inkl. Restaurant, nur noch bis Ende September 2021, danach geschlossen wegen Umbau bis Ende 2022) Mittagessen 12 bis 14:30 Uhr und Abendessen von 18 bis 21:30 Uhr, telefonische Reservierung : 913 485 568.
Lesen Sie nächste Woche Schritt Zwei. Klimaneutral leben in zehn Schritten. Immer samstags ab acht Uhr morgens auf www.eco123.info und auch als gedrucktes Heft zwei Mal im Jahr am Kiosk, nächste Ausgabe 21. Juni, Sommerbeginn.