Donnerstag, der 16. April 2020
von Leila Dregger
Ostern ist vorbei. Und ich merke, wie nicht nur ich langsam zappelig werde, sondern auch Menschen in meinem Freundeskreis. Gestern erhielt ich die Nachricht, dass ein junger Mann aus meinem Bekanntenkreis versucht hat, sich umzubringen – an Ostersonntag! Gottlob hat er überlebt. Seine Freundin meinte, er sei von dunklen Kräften befallen worden. Das wäre kein Wunder in diesen Zeiten. Denn langsam reicht´s, oder? Immer wieder hieß es: Wartet bis nach Ostern. Vielleicht haben wir unbewusst mit der Auferstehung gerechnet, mit einer Lockerung, einer guten Nachricht, mit irgendwas. Aber nein, der Ausnahmezustand wurde noch einmal verlängert. Die Dornen-Corona bleibt.
Während wir in den Nachrichten von der brutalen Polizeigewalt hören, mit denen die AntiCorona-Maßnahmen in vielen Ländern durchgeprügelt werden, leben wir in Portugal in einer privilegierten Situation. Demokratie und persönliche Rechte werden immer noch geachtet. Gleichzeitig haben wir wohl alle mit unseren eigenen Schatten zu kämpfen. Geben wir es ruhig zu, ein Teil der Unruhe, von der wir alle derzeit befallen sind, heißt Angst.
Die einen haben Angst vor dem Virus und der Ansteckung, die anderen vor den Maßnahmen und dass der Verlust bürgerlicher Freiheiten Dauer bekommen könnte, sehr viele fürchten den wirtschaftlichen Kollaps. Und viele haben echte Panik, dass sie die jetzige Nähe zu ihren Partnern, Kindern, Familie nicht mehr länger ertragen. Oder das Allein-Sein. Ich habe Angst vor Leuten, die behaupten, sie hätten keine Angst. Ängste begleiten unser Leben – nicht nur in Corona-Zeiten. Aber sonst können sich die meisten davon abgelenken: durch Konsum, Beschäftigtheit, Reisen etc. Wie oft bin ich abgehauen, wenn es unbequem wurde! Ans Meer, ins Kino, in das Gefühl, wichtig zu sein, wenn ich nur noch einen Artikel schreibe und noch einen.
Angst gilt als persönliche Schwäche. In Wirklichkeit ist sie ein System-Element jeder kapitalistischen Gesellschaft. Es geht um die menschliche Innenseite unseres Profitdenkens, unseres Wachstumswahns: Aus Angst vor Mangel häufen wir Besitz an und maximieren Profite. Aus Angst vor Schwäche bekämpfen wir andere. Aus Angst vor dem Verlassenwerden verwandeln wir Liebesbeziehungen in Gefängnisse. Aus Angst vor Schädlingen vergiften wir Gärten. Und aus Angst vor Feinden beginnen wir Kriege. Ich bin absolut sicher, dass das Virus der Angst mehr Menschen umbringt als jedes andere Virus. Angst ist gefährlich. Vor allem, wenn sie nicht durchschaut und gefühlt, sondern überspielt und ausagiert wird.
Wir müssen unsere Ängste entwaffnen. Dazu braucht man Ruhe, Wissen, gute Freunde und viel Kraft. Woher kommt die? Mein Rezept: Indem ich für jemand anders da bin. Indem ich mich irgendwo in den Dienst stelle, es kann auch etwas ganz Einfaches sein. Frühmorgens aufstehen und für alle Kaffee kochen. Mir Zeit nehmen für jemanden, von dem ich lange nichts gehört habe. Das ist ein großer Pluspunkt für das Leben in Gemeinschaft: Es gibt immer jemanden, der Hilfe braucht. Für den oder die man da sein kann. Echte Empathie ist der größte Angstüberwinder. Ehrlich gesagt, liegt da schon ein ganz klein wenig Auferstehung drin.