Samstag, der 21. Januar 2023.
Viele staatliche portugiesische Schulen haben zur Zeit geschlossen, weil die Lehrer mal wieder streiken. Auf diese Weise wollen sie das Bildungsministerium unter Druck setzen und ihre Forderungen durchsetzen. Der Abiturjahrgang des Jahres 2023 kann seine Prüfungen eigentlich absagen. Anhand der Schule Poeta António Aleixo in Portimao (wer will da schon leben?) funktioniert das auf eine ganz perfide Weise: die Schule hat, wie jede andere Schule auch, ein Sekretariat. Dort besitzen sie eine Datenbank über alle Schüler und Eltern, die Adressen, die Telefonnummern und Email Adressen der zu unterrichtenden Schüler. Sie müßten eigentlich im Sekretariat eine Anlaufstelle für Fragen von Schülern einrichten. Denn die fragen sich, wie lange wird gestreikt, wann beginnt die Schule wieder usw. Nichts dergleichen passiert. Werden die Abiturprüfungen dieses Jahr überhaupt stattfinden und falls ja, wie? Die Schüler sind eigentlich durch den Ausfall von Unterricht während der Corona-Pandemie bereits genug geschädigt. Das Sekretariat schickt keine Informationen an die Eltern und auch nicht an die Schüler. So stehen viele Schüler morgens vor der Schule und werden wieder nach Hause geschickt. So geht das Tag ein, Tag aus… Zuerst hieß es, es wird bis zum 14. Januar gestreikt. Jetzt heißt es, es wird bis zum 8. Febuar gestreikt. Sie sehen, in Portugal kann jeder machen, was er will.
Das man sich das als Schüler gefallen läßt, verwundert. Meine Generation hätte den Lehrern entweder ein Molotowcocktail zum Frühstück serviert, oder gar selbst gestreikt, gegen die Lehrer, gegen den Kultusminister, gegen eine Schulpolitik des Verhungerns.
Gäbe es an allen Schulen des Landes einen Schülersprecher, hätten auch die Schüler ein Wörtchen mitzureden, ob und wie gestreikt wird. So sind sie stumm und werden wie Schafe auf die Weide getrieben. Es gibt diese Schülersprecher vielerorts gar nicht, weil sie gar nicht organisiert sind. So läuft das in Frankreich und in vielen anderen Staaten der Europäischen Union, zum Beispiel in Deutschland nicht. Und da dürfen Lehrer, die beamtet sind, gar nicht streiken. Jede Schule hat ihren Schülersprecher und die Schüler debattieren in ihrem eigenen Parlament, in der Schule. So lernt man Demiokratie. Staatliche Beamte in Portugal aber dürfen streiken, wann und wo und wie sie wollen. Das macht Portugal zu einem konfusen, handlungsunfähigen Staat. Was, wenn das Finanzamt streikt, was, wenn die Krankenpfleger und Krankenschwestern im maroden staatlichen Gesundheitssystem wieder streiken, was, wenn die Polizei nicht zur Arbeit erscheint? Was passiert wohl, wenn wir Bürger dem Staat die Steuern für seine Hausaufgaben streichen?
Es wird Zeit für eine große strukturelle Revolution im Bildungswesen Portugals. Schon viel zu lange werden die Schulen bespart. Es wird Zeit, dem staatlichen Bildungswesen mehr Kompetenzen und mehr Budget einzuräumen. Es wird Zeit für eine neue Zeit in den Schulen des Staates Portugal. Daß Lehrer einfach zum Streik aufrufen und nicht mehr unterrichten, ist ein Unding. Ein Unding ist aber auch, wie sie von oben herab von der Politik behandelt werden. Der Minister ist wochenlang nicht zu sprechen. Und die Lehrer arbeiten am Limit. Es wäre wichtig, ein ständiges Gremium zu haben, in dem Lehrer, Politiker, Schüler und Eltern auf nationaler und auf regionaler Ebene miteinander reden und Entscheidungen treffen. Es wäre wichtig, daß das Geben und das Nehmen im Gleichgewicht stehen. Guckt Euch mal um in Europa, wie das in anderen Ländern funktioniert. Man muß über den Tellerrand seiner Suppe gucken können und sich informieren, sonst bleibt man immer kurzsichtig und schlecht informiert. Und wer schlecht informiert ist, wählt aus Unzufriedenheit morgen die Neofaschisten von Chega. Achtung: aus einer mit absoluter Mehrheit regierenden sozialistischen Partei kann schnell eine Regierung von Neofaschisten wie in Italien hervorgehen.