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Nº 70 – Die erlesensten Gerichte der vegetarischen Küche Portugals

Samstag, der 16. Januar 2021

Es ist kurz nach 12 Uhr an diesem Tag vor dem Shut-Down, kurz bevor das Land wieder einmal vollständig dicht gemacht wird. Das Parlament hat vor einer Stunde entschieden, Portugal und alle seine Restaurants zu schließen. Da geht die Tür auf und der eintretende Gast sagt in den Raum hinein: „Hm, das riecht aber gut hier.“

Wir beginnen unsere Reise durch die besten Küchen der Republik in Vila do Bispo, im äußersten Südwesten Portugals. Unsere Idee ist, alle 308 Landkreise zu bereisen und das Essen dort zu testen und zu empfehlen. Irgendwo habe ich gelesen, daß 99,4% aller Portugiesen Fleischesser seien und nur 0,6% sich vegetarisch ernähren oder vegan leben. Ob das wahr ist? Die erdrückende Mehrheit der Portugiesen soll fast täglich totes Tier essen? Wir interessieren uns für diese andere – diese kleine, leichte und feine Küche, in der keine toten Tiere auf Tellern landen, sondern für die Kunst des Kochens ohne Fleisch – die Kunst der gesunden Ernährung, der guten Küche, der verführenden Leckerbissen, der natürlichen Zutaten, der Wissenschaft des Würzens…

Das kleine Restaurant heißt IZZY’s Market und wird von vier klugen Frauen geleitet, von Isaura Arouca – der Chefin – und von Sandra in der Küche und von Vanessa und Maike am Tresen und im Gastraum selbst. Der Ort, an dem das Restaurant liegt, ist nicht besonders schön. In der Siedlung neben dem Rathaus wird seit Jahren gebaut und es nimmt einfach kein Ende. Es ist das dritte Mal, daß wir hier essen. Das kleine Restaurant ist eher ein Ladenlokal mit großer Schaufensterscheibe und vor genau diesem Fenster sitze ich mit meiner Kollegin, die mich auf dieser Reise begleitet. Wir diskutieren das Essen. Das Restaurant steht auf dem Prüfstand.

 

15 Sterne kann sich ein Restaurant verdienen. Die Punktzahl kann die Leser:in am Ende meiner Küchenkritik einsehen. Niemand ist perfekt. Falls Sie die Punkte, die ich vergebe, falls Sie also die Kür verbessern möchten, bitte sehr. Sie sind jede Woche Samstag eingeladen. Auch können Sie als Leser:in selbst Restaurants vorschlagen. Wir besuchen das Restaurant immer inkognito. In IZZY’s Market kann die Besucher:in auch einkaufen gehen: frisches Obst und Gemüse, lokal angebaut, liegt es hier in Holzkisten für den Gourmetkoch zuhause zum Verkauf, auch Nüsse, Mandeln, Dinkel, Feigen und Datteln und viele andere Trocken- und Hülsenfrüchte, Kosmetika und lokal hergestellte Seifen. Alles lose.

Pandemiebedingt: take-away

 

Das Restaurant ist klitzeklein. In ihm wird jeden Tag von Montag bis Freitag ein aktuelles Mittagsgericht angeboten. Heute ist es „Carne de Soja Alentejano“, ein bunter Teller basierend auf Kartoffelcroutons mit geröstetem Soja-Granulat, alles nicht größer als ein Zentimeter im Quadrat hoch drei, sanft abgeschmeckte Würfelchen. Das nimmt die eine Hälfte des Tellers in Anspruch. Die andere ist ein vielfältig, kunterbunter Salat aus Rucola, Frisee, Tomate, Lollo Rosso, Gurke und Möhren mit weißem Yoghurt Dressing. Dazu wählen wir einen Fruchtsaft. Es gibt keinen Alkohol im Restaurant, kein Wein, kein Bier, dafür aber ganz frisch gepreßte Multifruchtsäfte, die viel Kraft generieren: Erdbeeren mit Kiwi und Tangerine, mit Orange und Weintrauben, Apfel und Banane. So entsteht ein geheimnisvoller runder Geschmack, nicht zu süß, nicht zu sauer, keinesfalls bitter, dafür exotisch.

Vor dem Essen, nach dem Essen, Hände waschen nicht vergessen. Ich liebe saubere Badezimmer. Hier stehen aktive Blumen in Töpfen, es gibt eine Wickelkommode für Babys, auf Kipp stehende Fenster aus Milchglasscheiben, die Toilette pickbello sauber, auch das Waschbecken, das Desinfektionsmittel zur Hand, auch der Plan, wann das Badezimmer letztmalig in Schuß gebracht worden ist, mit Uhrzeit und Unterschrift. Das kleine Restaurant hat ein gemeinschaftlich genutztes Badezimmer für Frau und Mann. Warum nicht.

Ich zähle die Tische. Es sind drei Tische, zwei davon für jeweils vier Personen ein kleiner dritter Tisch für zwei Gäste und die Galerie zum Rausgucken auf die ewige Baustelle für vier Personen. Heute wird der Kies (Brita 2) vom Bulldozer weggefahren.. Guten Appetit.

Alle Kuchen und Nachtische stammen aus eigener Kreation, das schwört Isaura. Käsekuchen mit Blaubeeren oder Leite Creme karamelisiert. Auch ihre Suppen sind immer noch und immer wieder famos: sämige Lauchsuppe auf Basis von Möhren mit Mohnsamen als Dekoration. Alles zusammen kostet das die Redaktionkasse acht Euro, plus € 1,90 für den Multivitaminsaft. Gut.

Schlußendlich fühle ich mich wohl an diesem kleinen Platz am Ende der Welt. Hier kocht jemand aus Freude an der Sache und das kompetent. Die Zutaten stammen aus biologischer Landwirtschaft, überwiegend vom Bauernhof Vale da Lama aus Odeáxere, dem Nachbarkreis, keine 30 km entfernt. Kurze Transportwege. Ich habe einen Blick in die Küche werfen können. Sie ist offen einzusehen, Essen verläßt die Küche und leere Teller werden zurückgereicht.  Keine Wartezeit. Mülltrennung ja. Weniger als 15 Liter Recycling pro Tag in drei separaten Behältern. Sehr sympathische und kompetente Bedienung in mehreren Sprachen. Kein Multibanco. Öffnungszeiten von Montag bis Freitag von 10 bis 17 Uhr. Auch Frühstück mit frischen Brötchen und verschiedenen Kaffees und Tees. Drei Essen im Angebot auch für Kinder. Wollen wir mehr?

Ja. Rollstuhlfahrer bleiben besser draußen an den drei kleinen Tischen, denn drinnen würde es einen Stau verursachen. Und die Toilette ist nicht behindertengerecht. Bei mehr als 15 Menschen könnte ich klaustrophobisch werden. Kurz nach ein Uhr verabschieden wir uns bei leichter Jazzmusik und ja, es riecht nicht nur gut, es schmeckt auch so. Fayit: 12 von 15 Punkten.

  1. Lage des Restaurants Null Punkte;
  2. Architektur und Design Null Punkte;
  3. Wohlfühleffekt (nicht rollstuhlgerecht) Null Punkte;
  4. Sauberkeit (Küche, Restaurant, Toiletten sauber) ein Punkt;
  5. Speisekarte (täglicher Wechsel, frisches Tagesgericht, Kuchen & Nachspeisen mit wenig Zucker) ein Punkt;
  6. Koch & Bedienung (Qualifikation, Professionalität, Freundlichkeit, Kontinuität, mehrsprachig) ein Punkt;
  7. Zutaten (Lebensmittel: wie und wo erzeugt, Herkunftsnachweis, alle Lebensmittel werden wiederverwertet, kurze und schnelle Transportwege, wenig Müll, Gesundheit) ein Punkt;
  8. Kreativität, Originalität und Traditionalität der Gerichte, (auch eigenes Brot) ein Punkt;
  9. Transparenz (wenig Müll pro Tag, offen einsehbare Küche) ein Punkt;
  10. Systemisches Arbeiten (Konzept Menü mit Vorspeise, Hauptgericht, Nachtische o.ä.) ein Punkt;
  11. Geschmack (nicht nur der Hunger treibt es rein) ein Punkt;
  12. Getränke (eigene Kreationen, Wasser & Tees in wiederverwendbaren Glasgefässen) ein Punkt;
  13. Preise (a. im Leistungsverhältnis, b. zum Einkommen, c. Subjektiv unter zehn Euro p.P.) ein Punkt;
  14. Ich könnte mir vorstellen, wiederzukommen.  ein Punkt;
  15. Extrapunkt? JA, weil wer neun Mal kommt, bekommt das zehnte Menü umsonst.

 

 

IZZY’s Market · Vegetarian Boutique · Urb. Senhora do Amparo, Lt 13, Lj 5 ·  8650-436 Vila do Bispo · T 282 639 153

 

Uwe Heitkamp (60)

ausgebildeter Fernsehjournalist, Buchautor und Hobby-Botaniker, Vater zweier erwachsener Kinder, kennt sei 30 Jahren Portugal, Gründer von ECO123.
Übersetzungen : Dina Adão, Tim Coombs, João Medronho

Fotos: Stefanie Kreutzer

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