Erinnerung. Was wird uns in einem Jahr, in zwei Jahren, in zehn Jahren, also im Sommer 2027 von dem Wochenende des 17. und 18. Juni 2017 in Erinnerung bleiben? Was werden wir in diesem Zeitraum in unseren Leben verändern und wollen wir das angesichts der grausamen Bilder und der vielen Toten der Waldbrände? Denn bisher waren es nur die Wälder, die Tiere, die Natur, die jedes Jahr verbrannten – und die kann bekanntlich nicht reden. Die Natur hat keine Lobby. Nächste Frage? Nächstes Thema? Die Schlüsselfrage jedoch ist, sind wir bereit, an unserem Leben etwas Grundlegendes zu verändern? Dazu müssten wir die Erkenntnis besitzen, gravierende Fehler gemacht zu haben, diese Fehler uns eingestehen zu können, jetzt und heute bereits; schonungslos und ergebnisoffen, ohne Tabus. Wollen wir das? Oder wollen wir nur an der Oberfläche kratzen, wie sonst immer?
Ich beginne meinen Tag danach mit den Bildern der verbrannten Autos, dem Laken über einem verbrannten, auf der Straße liegenden Menschen. Der Tod geht um. Die Bilder gehen mir nicht aus dem Sinn. Wir müssen diesen Feuern auf den Grund gehen, diesem Tod einen tieferen Sinn geben. Oder nicht? Oder wollen wir das Geschehene lieber unter den Teppich kehren, wie sonst immer?
Wir haben uns verlaufen. Wollen wir uns gegenüber zugeben, dass ein großer Teil des Weges, den wir seit 1974 gegangen sind, der falsche Weg war? Wenn wir schon bis 1974 in eine Richtung gelaufen sind, die falsch war – woher wissen wir denn, dass der Weg nach 1974 der Richtige war? Alles beginnt mit dem Geld, nicht wahr? Oder ist es die Gier und ist es die Angst, die uns orientierungslos und unsensibel machen für den richtigen Weg? Alle von uns wollen glücklich sein und sind doch so unglücklich, besonders jetzt, wo so viele von uns fast alles verloren haben, das Leben, die Natur, alles um uns herum ist verbrannt. Und es wird weiter brennen!
Es ist das Wasser, das uns Leben schenkt. Ohne Wasser wären wir alle verloren. Das sagen auch die wenigen, die im Dorf Nodeirinho überlebt haben. Die elf verbrannten Dorfbewohner hatten kein Wasser und nur diejenigen, die sich in einer Zisterne nass machen konnten, haben das Feuer überlebt. Wenn wir genau wissen, dass Wasser unser Lebenselixier ist, warum ordnen wir nicht alles andere diesem Element unter? Warum pflanzen wir Eukalyptus an, wenn wir wissen, dass Eukalyptus uns das Wasser abgräbt und es in Öl verwandelt, das hervorragend brennt? Weil wir zu feige sind, dem Multi Navigator/Portucel/Soporcel/Semapa die Stirn zu bieten und uns für ein paar Euros an sie verkaufen? Wir wissen seit Jahren, dass Eukalyptus der ideale Brandbeschleuniger ist und jeden Waldbrand nur noch mehr anheizt. Ich bin noch nicht am Ende meiner Geschichte.
Wir wissen auch, dass unser ländliches Zuhause, das Haus, der Hof, das Land uns Schutz bieten, wenn wir es richtig, nachhaltig bewirtschaften, wenn wir unsere Erde lieben. Wer Gutes gibt, bekommt Gutes zurück. Wer mit Gas kocht, muss wissen, dass eine Gasflasche im Feuer explodieren kann. Warum pflanzen wir nicht mehr Korkeichen und Bäume, die für unser Land naturverträglich sind, warum bauen wir keine Zisternen und fangen das Regenwasser des Winters damit ein, damit wir im Sommer genug davon haben?
Wer das Wissen hat, dass wir Menschen die blödesten Kreaturen auf diesem Planeten sind, wer sich also seiner eigenen Dummheit und Ohnmacht bewusst ist, seiner Fehler und seiner Vergesslichkeit, hat einen ersten Schritt in die richtige Richtung des Weges genommen. Wir sind ein Sandkorn im Getriebe des Weltraums und dass es uns gibt, dieses Wunder namens Mensch, sollten wir vorsichtig nachdenklich und bescheiden feiern. Im guten Sinne. Wir sollten in den kommenden zehn Jahren vieles besser machen als bisher. Nur dann macht es Sinn, über die Toten von Pedrógão Grande zu weinen, nur dann macht es Sinn, sie auch in zehn Jahren noch in Erinnerung zu behalten. Nur dann bekommt die tiefe Trauer, die mich weinen lässt, einen tieferen Sinn.
Der Eukalyptus muss weg, weit weg von den bewohnten Dörfern, weit weg von den Wasserquellen und Wasserläufen und der Staat muss jeden Eukalyptusbaum besteuern, um die Feuerwehren besser ausrüsten zu können. Eukalyptus muss so teuer werden, wie der Schaden, der durch Waldbrände entsteht, am besten so teuer, dass es sich kaum noch lohnt, ihn anzupflanzen. Und dann macht es auch Sinn, Altpapier endlich in großem Stil zu recyceln.
Wir wissen, dass wir nicht nachhaltig leben. Die meisten wissen nicht mal, wie man das Wort buchstabiert, geschweige denn um die Bedeutung der Nachhaltigkeit. Wir wissen aber, dass bei Windgeschwindigkeiten von mehr als 30 km/h, bei Luftfeuchtigkeit von weniger als 30% und bei Temperaturen von mehr als 30 Grad Celsius Waldbrände kaum noch zu stoppen sind. Wir wissen, dass wir generell keine fossilen Stoffe mehr verbrennen dürfen: kein Öl, kein Gas und keine Kohle und kein Plastik mehr benutzen sollten. Der menschgemachte Klimawandel diktiert unsere zukünftigen Lebensbedingungen auf unserem Planeten Erde. Wir sind nicht nur zu viele Menschen, wir sind auch zu viele Menschen, die nicht nachhaltig leben. Und wir müssen verstehen lernen, dass wir alle hier nur für einen kurzen Zeitraum Gäste sind und das nach uns noch Generationen folgen werden.
Achtsamkeit mit unseren Nächsten und mit unserer Umgebung braucht Übung. Das beginnt im Kindesalter zuhause und auch in der Schule. Lernen wir es dort? Wir werden nie mehr aufhören zu lernen, was es heißt altruistisch zu handeln, zu leben, zu SEIN – und nicht einfach nur immer mehr zu HABEN, weil wir gierig sind und dem Geld alles andere unterordnen. Waldbrände in Portugal werden nicht von einem Tag zum anderen aufhören. Aber vielleicht haben unsere gewählten Politiker begriffen, dass sie jetzt auch handeln müssen. Sie müssen sich mit dem Eukalyptus als Thema beschäftigen. Sie müssen Umwelterziehung als Fach in die Schule bringen. Sie müssen selbst zum Vorbild werden, wenn sie ernst genommen werden wollen.
Wie also wollen wir leben?